Samstag, 30. Januar 2010

neuigkeiten aus haiti 11

Sechs Stockwerke nach dem Beben

Reisebericht von Stephan

Wie die meisten von Euch und Ihnen wissen, wurden Roswitha und ich von Help a child gebeten, eine Evakuierungsreise für über 60 Adoptivkinder zu begleiten, deren Verfahren schon so weit fortgeschritten war, dass ihnen in Absprache zwischen den haitianischen und deutschen Behörden die Ausreise aus Haiti gestattet wurde. Wir sind dieser Bitte sehr gerne nachgekommen, nicht nur weil wir die Evakuierung dieser Kinder, die nach dem Beben nur notdürftig versorgt und untergebracht waren, als dringend erachtet haben, sondern auch weil es uns darüber hinaus die Möglichkeit gab, direkt in Port-au-Prince erste Hilfen für unsere Projektpartner und unsere Patenkinder samt deren Familien zu organisieren. Außerdem konnten wir uns so einen Überblick über die nächsten Schritte der Wiederaufbauhilfe machen. Durch Roswithas jahrzehntelange Erfahrung, ihre Kontakte und durch die Tatsache, dass ihre beiden Söhne Thomas und Alex, die beide perfekt Kreyol sprechen, uns begleitet haben, konnten wir in der Kürze der Zeit doch einiges erreichen. Auch wenn ich mit den Herzen eigentlich noch in Haiti bin, möchte ich versuchen, die Ereignisse während dieser Reise in einem persönlichen Bericht zusammenzufassen.

Da der Flughafen von Port-au-Prince immer noch für den zivilen Luftverkehr gesperrt ist und das deutsche Außenministerium keine Landegenehmigung erreichen konnte, mussten wir leider eine sehr zeitaufwändige Reisevariante wählen. Wir sind am 22. Januar, zehn Tage nach dem Erdbeben, mit einem Touristenflieger nach Punta-Cana im äußersten Osten der Dominikanischen Republik geflogen. Der Spruch des Kapitäns nach der Landung: „Wir wünschen Ihnen einen schönen Urlaub in diesem Karibikparadies und hoffen, Sie gut erholt und gebräunt wieder an Bord einer unserer Maschinen begrüßen zu dürfen“ war das Sahnehäubchen des elenden Gefühls in meiner Magengrube, das ich angesichts all der gut gelaunten Touristen, die keinen Gedanken an die unvorstellbare Katastrophe in direkter Nachbarschaft ihrer Pauschaltouristenghettos verschwendeten, empfand. Weiter ging es in einer fünfstündigen Fahrt nach Santo Domingo. Dort hatten wir eine Übernachtung. Unser Teil der Gruppe machte sich am nächsten Morgen um sechs Uhr in einem Wagen der deutschen Botschaft sowie einem Pkw des staatseigenen Entwicklungshilfeunternehmens GTZ auf den Weg Richtung haitianische Grenze. Nach einer abenteuerlichen Fahrt in deutschem Autobahntempo erreichten wir mittags Port-au-Prince, wo wir schon am äußersten Rand der Stadt, wo noch kaum Erdbebenschäden zu erkennen waren, von einem ordentlichen Stau empfangen wurden. - Aber nicht etwa wegen vieler Lkw, die Hilfsmaterial auslieferten, sondern aufgrund der bekannten Mischung aus Tap-Taps, Schubkarren, Kleinlastwagen und den großen, immer frisch geputzten, weißen Geländewagen mit Chauffeur und irgendeinem „wichtigen“ Repräsentanten einer großen Organisation, die zwar vor Ort sind, aber nie sonderlich beschäftigt wirken.

Also alles wie immer? Ganz und gar nicht. Wenn man den Leuten auf der Straße in die Augen blickte, war dort eine Mischung aus Schmerz, Apathie und Resignation zu sehen, die ich vorher noch nie bei den wahrlich leidgeprüften Haitianern wahrgenommen habe. Ein Anblick, der mir fast mehr den Atem raubte, als der später deutlich zu riechende Geruch der Verwesung. Über die Schäden in der Stadt berichte ich hier nicht, wir kennen alle die Fernsehbilder der Zerstörung und des Todes. Dennoch so viel: Der Schutt ist im direkten Kontakt noch grauenvoller, weil – auch durch den beißenden Geruch – sofort klar wird, wie viele menschlichen Opfer noch darunter begraben sind. Der Gedanke daran lässt sich nicht verdrängen, und die im Kopf entstandenen Bilder verfolgen sicher nicht nur mich jeden Tag und jede Nacht.

Poukisa (kreolisch): Warum?

Am zerstörten Kinderheim Maison des Anges/MDA wartete schon unser Patenschaftskomitee bestehend aus Ti André, Guivens und Laumenaire auf uns. Diese Freude und Erleichterung, die während der stürmischen Begrüßung und den Umarmungen sichtbar wurde, zeigten Roswitha und mir deutlich, dass sich die Reise schon für diese moralische Unterstützung, die wir ihnen mit unserer Anwesenheit geben konnten, gelohnt hatte. Von ihren eigenen Schicksalen und Verlusten erzählten die drei nur widerwillig. Sie wollten vielmehr von uns wissen, wie es uns und unseren Familien gehe, als wären wir die Leidtragenden dieser Tragödie. Es war nur so viel zu erfahren, dass alle drei das Beben knapp und auch nur mit ihrem blanken Leben überstanden haben. Auf die Frage, wo sie denn übernachteten, antworteten sie, dass sie sich jeden Abend einen neuen Platz irgendwo in der Stadt suchen müssten.

Roswitha mit Guivens, André und Laumenaire.

Den Plan, dass eine Gruppe von zwölf ehemaligen und aktuellen Studenten des Patenschaftsprogramms uns bei der Evakuierung der Adoptivkinder helfen sollten und dafür von Help a child bezahlt werden würde, unterstützten die Drei ohne Zögern. Außerdem versprachen wir von der Haiti-Kinderhilfe Lebensmittel für die Helfer und ihre Familien. Ich bin mir sicher, dass alle zwölf an der Aktion beteiligten Patenkinder dies auch ohne jegliche Bezahlung getan hätten. Diese Selbstlosigkeit und diese Einsatzfreude, die „unser“ Team in den nächsten Tagen bei allen Arbeiten an den Tag legten, hat mich zutiefst beeindruckt und beschämt. Wir bejammern die Belastung und Mehrarbeit, die durch das Beben auf unseren Verein hereingebrochen sind, und diejenigen, die nicht viel mehr als ihr Leben und die Kleidung am Leib retten konnten, geben vollen Einsatz bei einer Aktion für sie vollkommen fremder Adoptiveltern und -kinder. Und nicht nur das! Ti André hatte am Vortag bereits Schwester Marthe von unserem Kindersklaven-Projekt aus eigenem Antrieb besucht und ihr von unserer Ankunft berichtet. Außerdem hatte er schon versucht, etwas über den Verbleib von den Verwandten unserer Kinder herauszufinden. Und die Biogas-Gruppe hatte, während sie auf uns wartete, schon den Fleischwolf des Kinderheims als möglichen Zerkleinerer für unser Biogasprojekt getestet.

Evakuierungstruppe

Dazu passte auch, dass am nächsten Tag nicht etwa wir auf die obdachlosen Haitianer warten mussten, die sich mit Tap-Taps oder zu Fuß ihren Weg zum Kinderheim bahnen mussten, sondern sie auf uns, die wir im Botschaftsauto anreisten. Dank Roswitha konnten wir zusätzlich noch das Auto der Frau des holländischen Generalkonsuls Rob Padberg benutzen. Dadurch konnten Ti André, Thomas Weiß und ich uns nach einer kleinen Verteilung der Kurbeltaschenlampen und Wasserbeutel an unser haitianisches Evakuierungsteam auf den Weg machen, um unsere Projekte zu besuchen und Hilfe zu organisieren. Der Versuch, uns bei der OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) als NGO zu registrieren, scheiterte allerdings an dem Chaos, dem babylonischen Sprachgewirr und dem Kompetenzwirrwarr, das auf dem UN-Gelände am Flughafen herrscht. Einziges Ergebnis unserer einstündigen Odyssee war das Eingeständnis eines OCHA-Mitarbeiters, dass eine „koordinierte Registrierung und eine zentralisierte Ausgabe von Hilfsmaterial“ durchaus sinnvoll wäre, aber soweit wären sie leider noch nicht. Immerhin, wir erhielten auf unseren USB-Stick Unmengen Mailadressen, wer welche Meetings in den diversen UN-Zelten organisiert. Wir waren vollkommen frustriert und geschockt, dass in der Presse hierzulande gerne von den chaotischen Zuständen in Haiti berichtet wird, an denen eine schnelle Hilfe scheitert. In der Realität ist aber der Organisationsgrad der Haitianer geradezu perfekt – und nicht nur im Vergleich zu dem der UNO, der US-Truppen und aller großen NGOs. So sahen wir auf dem Weg in das von der Haiti-Kinderhilfe finanzierte Krankenhaus „Centre de Santé de Notre Dame de Lourdes“ zwar zahlreiche Einheimische, die sich bereits Baumaterial organisiert hatten und ihre Häuser ohne fremde Hilfe wieder aufbauten, aber so gut wie keine Hilfslieferungen auf den Straßen. Insgesamt habe ich in den vier Tagen in Port-au-Prince maximal zehn offizielle Stellen gesehen, an denen Hilfsgüter verteilt wurden. Das ist ungefähr so, als ob auf dem Oktoberfest zwar die Tonnen von Bier, Hendl, Radi und Brezen vorhanden wären, aber für alle Bierzelte und Besucher nur eine Bedienung im Einsatz wäre. Das ist sicher ein zynischer Vergleich, aber er macht vielleicht die Dimension des Versagens der internationalen Hilfe deutlich.


Noch ein Wort zum Thema Plünderungen: Ich habe keine gesehen oder erlebt. Es gab zwar viele nächtliche Schüsse zu hören, aber andererseits steckten wir direkt hinter einem unbewachten Tieflader-Lkw beladen mit Hunderten von Reissäcken im Stau, und es wäre ein Leichtes gewesen, etwas zu stehlen. Das ist aber nicht passiert, es gab nicht einmal Versuche, den Lkw-Fahrer anzubetteln. Alle Bitten um Hilfe, die ich selbst erlebt habe, waren von geradezu bewundernswerter Zurückhaltung und Höflichkeit geprägt. So hat uns zum Beispiel ein älterer Herr oberhalb eines vollkommen zerstörten Viertels in perfektem Französisch angesprochen: „Meine Herren, entschuldigen Sie die Störung, aber ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen, dass dort unten Hunderte von Menschen in einem provisorischen Lager ausharren, die noch keinerlei Hilfe erhalten haben. Wenn Sie irgendeine Möglichkeit sehen, diesen Menschen zu helfen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ Hört sich so der plündernde, aufgebrachte Mob an?

Jeder freie Platz ist ein "Zuhause" für Obdachlose

Das Krankenhaus hat leichte Schäden, die aber reparabel sind und vorübergehend mit Stützen überbrückt wurden. Es wird zwischenzeitlich von den Amerikanern unterstützt. Allerdings fehlten bei unserem Besuch noch die Zelte, in denen amerikanische Ärzte direkt vor Ort operieren sollen. Die Patienten werden zwar im ersten Stock, in dem auch der unbeschädigte OP liegt, nachversorgt, aber für die ausländischen Ärzte, so die Aussage eines anwesenden US-Mediziners, sei das Risiko zu hoch, den OP zu benutzen. Deshalb werde bis zum Eintreffen der Zelte zentral operiert, und die Patienten würden dann erst zum Centre transportiert. Nebenan im Mädchenheim „Filles de Dieu“ lagen zwar Zelte, die von Unicef fürs beschädigte Kinderheim geliefert worden waren. Es handelte sich aber um viel zu große Zelte für den dortigen Innenhof. Warum diese Zelte nicht für das benachbarte Krankenhaus verwendet wurden, haben wir bis heute nicht herausgefunden oder verstanden.

Unser Krankenhaus Centre de Santé in Delmas 19 mit nur leichten Schäden.


Durch Ruinen, die eher an gezielte Sprengungen als an Erdbebenschäden erinnerten, kamen wir dann zu Schwester Marthes Restavek-Projekt. Die 84-jährige Nonne ist die letzte ihres Ordens in Port-au-Prince. Ihre brasilianischen und belgischen Mitschwestern hatten Haiti bereits verlassen. Lediglich eine junge indische Novizin ist noch vor Ort, sie zeigte sich gegenüber dem Ruf des Mutterhauses auch ungehorsam. Außerdem trafen wir in Marthes Haus auf einige der bis zum Beben 45 Monitore und den haitianischen Projektleiter Ronald Valme. Er hat wie 35 Monitore, die durch das Beben obdachlos wurden, nicht nur sein Haus, sondern auch seine Frau verloren. Eine Monitorin wurde während der Geburt ihres zweiten Kindes zusammen mit ihrem älteren, eineinhalbjährigen Kind unter ihrem einstürzenden Haus begraben. In jeder Familie der Monitore sind Tote und Verletzte zu beklagen. Die Verluste bei den Kindern des Programms sind noch nicht abzusehen, allerdings sind bereits viele aufgetaucht, deren „Pflegefamilien“ ums Leben gekommen sind. Laut Schwester Marthe kümmern sich die Monitore jetzt wie in einer Art „Kinderdorf“ um ihre Restavek-Schützlinge, nur mit dem Unterschied, dass sie selbst ohne Heim und Versorgung dastehen. Die beiden Lakou-Zentren in Carrefour-Feuilles und Kwadepre sind samt Inhalt wie zum Beispiel sämtlichen Tret-Nähmaschinen, Stoffen und Möbeln zerstört. Für den nächsten Tag hatte Schwester Marthe eine hilflos anmutende Verteilaktion von zwei Kartons mit Kleidung angesetzt, die bereits in den Nähkursen gemacht worden waren. Wasser und Nahrung sei zwar dringender, aber davon habe sie nichts. Schwester Marthes Haus ist nahezu unbeschädigt, da es sich um ein massives Ziegelhaus handelt. Thomas Weiß (von Beruf Ingenieur) untersuchte den Bau und erklärte ihn für gefahrlos bewohnbar. Nachdem wir an die Anwesenden Taschenlampen und Wassersäcke verteilt hatten, verabschiedeten wir uns mit dem Versprechen, für den nächsten Tag eine Nahrungsmittellieferung zu organisieren.
Schwester Marthe bereitet Monitore auf neue Aufgaben vor.

Am nächsten Morgen verteilten wir an 23 Familien des Patenschaftsprogramms, die sich beim Kinderheim MDA eingefunden hatten, Taschenlampen, Wasserbeutel und eine Soforthilfe von 50 US-Dollar. Der Dank, der uns von diesen erschöpften Menschen entgegengebracht wurde, lässt sich nicht beschreiben. Es war unvorstellbar. André vereinbarte dabei schon gleich Termine mit den Familien, um deren Geschichten vom Überleben zu recherchieren. Er wird in nächster Zeit immer wieder Berichte liefern, die wir dann in den Rundbriefen abdrucken können. Schließlich soll das Leben ja weitergehen... Während unser haitianisches Evakuierungsteam einen Platz für ein Zelt des THW vorbereitete, in dem die aus fünf anderen Kinderheimen am MDA zusammengeführten Kinder ihre letzte Nacht in Port-au-Prince verbringen sollten, organisierte Thomas Weiß aus einem vollen EU-Lager Nahrungsmittel fürs Restavek-Projekt, die wir noch am gleichen Tag Schwester Marthe übergeben konnten. Dies gelang nur durch seine Ortskenntnis, seine guten Kontakte und die zum 1.000. Mal erfahrene Kooperationsbereitschaft von Rob Padberg.












Es klingt vielleicht nach wenig, was wir für die Haiti-Kinderhilfe in Port-au-Prince erreicht haben. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass unsere eigentliche Mission das Abholen der adoptierten Kinder war. Insofern haben wir in der wenigen „freien“ Zeit, dank der guten Vorarbeit des Komitees doch vergleichsweise viel zustande gebracht. Man denke nur, was Tausende Vollzeit tätige Soldaten und Hilfsprofis in 14 Tagen zuwege gebracht haben... Zur endgültigen Evakuierung der Adoptivkinder wurden zwei Reisebusse aus Santo-Domingo zusammen mit gekauften Lebensmitteln für unsere Patenschaftsfamilien und die betroffenen Kinderheime, zwei Ärzten und weiteren Helfern ins Kinderheim MDA verlegt. Roswitha und ich waren so stolz auf „unser Team“, als wir abends sahen, dass es inmitten dieses Chaos' nicht nur die verlangten Arbeiten erledigt und die Kinder betreut, sondern sich organisiert und für Dutzende Leute gekocht hatte. Wir konnten direkt sehen, wie engagiert die jungen Leute waren, die doch eigentlich unsere Hilfe hätten kriegen sollen. Beim Bureau de Nutrition et Developpement, dem Ernährungsbüro von Rob Padberg, konnte ich nach der tollen Mahlzeit noch eine große Summe Bargeld im Safe deponieren, das wir bei Bedarf für unsere Projekte abrufen können.

Evakuierung der 62 Adoptivkinder aus Port-au-Prince.

Die eigentliche Evakuierung begann am nächsten Morgen um fünf Uhr. Der frühe Zeitpunkt war von Roswitha vorgeschlagen worden, um die Gefahr nach einer auch in Haiti hitzig geführten Debatte über Kinderhandel zu minimieren. Leider weigerte sich der Busfahrer, die letzten kleinen Straßen zum MDA zu rangieren, so dass wir die Lebensmittel mit dem Botschaftswagen und einem eilig organisierten Tap-Tap zum Heim transportieren mussten. Auch die vollkommen verschreckten Kinder mussten auf dem gleichen umständlichen Weg zu den Bussen gebracht werden. Unser zwölfköpfiges Team bewährte sich auch bei dieser Aktion. Die Patenkinder entluden die Hilfsgüter, beruhigten die Kinder, teilten die Lebensmittel zwischen den Heimen und den Patenschaftsfamilien auf und waren in dem ganzen Tohuwabohu für die Kinder wirklich der einzige Ruhepol. In all dem Chaos holten André und Guivens mich weg von den Ereignissen. Da mir meine beiden zu betreuenden Kinder schon anvertraut waren, kam es mir sehr ungelegen. Nur widerwillig seilte ich mich mit den beiden vom Pulk ab, um die netteste Überraschung meines Lebens zu erhalten: André und Guivens hatten sich erinnert, dass ich den Cocktail aus Cowossolsaft, Milch, Zucker und Eiswürfeln bei meinem letzten Besuch so geliebt hatte. Ich weiß nicht, wie es ihnen gelungen ist, in der Ruinenstadt alle Zutaten für den Drink aufzutreiben – aber da standen sie mit strahlenden Gesichtern und einer prall gefüllten Beuteltrinkflasche. Eigentlich fehlen mir jetzt noch die Worte, die Geste war einfach zu überwältigend.

Auch auf dem Weg bis zur Grenze zur Dominikanischen Republik erwiesen sich unsere Patenkinder als wertvolle Helfer. Guerline wickelte unermüdlich die an Durchfall erkrankten Kleinsten, Josef schaukelte teilweise gleich drei Kinder auf einmal, und Guivens versuchte als Vorsänger den Chor der Kleinkinder mit Liedern zu beruhigen, die hier in Deutschland vermutlich in die Fußballstadien passen würden... Während der Tage in Port-au-Prince war es immer wieder zu sehr emotionalen Szenen gekommen. Aber stillschweigend waren wir übereingekommen, nicht zu weinen. Ich hatte den Eindruck, wir hatten alle Angst davor, nicht wieder aufhören zu können. Bei mir endete der Vorsatz an der Grenze. Nicht etwa, dass die Verabschiedung mich geknackt hätte, nein, es war James' fassungsloses Gesicht, als ihm klar wurde, dass ich mit dem Tross nach Deutschland fahren würde. Er, der sonst so perfekt Englisch sprach, stammelte so etwas wie „Was, Sie fahren jetzt auch weg?“ Ich kam mir so vor, als ob ich sie alle im Stich lasse. Und tat es in dem Moment ja auch. Zum einzigen Mal fiel genau da die Fassade der vermeintlich Starken, und mir wurde bewusst, wie sehr wir ihnen Hoffnung geben. Das ist unsere Verpflichtung. Danke, dass Ihr alle helft, diese Verantwortung zu schultern.

Herzlich, Stephan Krause

Abschied an der dominikanischen Grenze.

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