Dienstag, 14. September 2010

bau der semences pour la vie-schule

Liebe alle,

heute hole ich mal etwas weiter aus. Nachdem der Vorstand sich für den Bau der Semences pour la vie (Samen für das Leben)-Schule in einem Armenviertel an der Delmas entschieden hatte, äußerten wichtige Partner in Haiti Kritik an dem Projekt. Es sei allzu einfach angelegt, es stehe kein großer Träger für den Betrieb zur Verfügung, und überhaupt fehle den Verantwortlichen das Konzept. Wie Ihr wisst, haben wir uns dennoch für die Baumaßnahme entschieden, weil sie direkt den Campbewohnern eines Viertels zugute kommt, die kaum eine andere Möglichkeit haben, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Bei diesem Projekt müssen die Schüler weder einen langen Schulweg zurücklegen (das Viertel liegt eher abseits der Verbindungsstraßen), noch soll Schulgeld erhoben werden. Auch sprachen einige andere Tatsachen für das Projekt: Etwa, dass schon früh ein Mietvertrag für das zuvor als Müllkippe verwendete Grundstück abgeschlossen werden konnte, für die leichten Holzanbauten keine Baugenehmigung nötig war, der Architekt, der auch "unser" Krankenhaus gebaut hatte, die Pläne zeichnete und den soliden Bau überwachte, und natürlich, dass die Verantwortlichen selbst die Risiken sahen und in vorsichtigen Schritten vorgehen wollten. Sie planten keinen Schulkomplex für das ganze Viertel, sondern ein Gebäude mit zwei Klassenzimmern, in dem die Kinder aus der unmittelbaren Nachbarschaft unterrichtet werden sollten. Es war also durchaus ein Konzept zunächst mit beschränktem Aufwand, aber auch eines, um schnell 50 Kindern Bildung anbieten zu können.


Und es ging auf. Die Bilder, dass die Überdachung bereits steht, haben wir ja bereits veröffentlicht (Blogbeitrag vom 2. August). Mittlerweile wurde weitergebaut, und mir gefällt das einfache Gebäude richtig gut. In dem
                                     bergigen Gebiet hat der Planer die
Hanglage ausgenutzt, so dass neben den zwei Zimmern auch ein kleiner Vorhof entstanden ist, auf dem die Kinder ihre Pausen verbringen können. Die Dachkonstruktion der Schule ist so luftig angelegt, dass auch in der brütendsten Hitze - und die herrschte bei meinem Besuch wahrhaftig - die Räume einigermaßen kühl bleiben. Ferner ist die Anlage nur von einer Seite aus zu erreichen. Da man erst mal durch die Nachbarschaft muss, die ihre Kinder dorthin schicken darf, ist automatisch ein Sicherheitssystem "installiert", das kaum übertroffen werden kann.


Bei meiner Besichtigung war zunächst nur eine Handvoll Kinder da. Das "Jubelkomitee" trug Schilder mit der Aufschrift "Merci Haiti-Kinderhinser" - ein klares Signal dafür, dass dringend mehr Unterricht nötig ist-, und die beiden Lehrer, ein Mann und eine Frau, waren recht nervös. Erst nach und nach trudelten etwa 40 Kinder mit ihren Eltern ein. Die Erwachsenen waren sehr angespannt und entschuldigten sich direkt nach der Begrüßung in sämtlichen denkbaren Formulierungen und Sprachvariationen dafür, dass sie keine Sonntagskleider für ihre Kinder haben. Es war unglaublich, vor allem da ich zuvor schon einige Dinge unternommen hatte und selbst nicht gerade geleckt aussah. Nach der anfänglichen Nervosität unterhielten wir uns alle aber sehr angeregt. Die Familien betonten, dass sie aus den Camps der Nachbarschaft stammten, aber schon vor dem Beben in kleinen teils gemauerten, teils aus Blech zusammengewürfelten Hütten gewohnt hätten. Jede und jeder, die ich gesprochen habe, hatte beim Beben einen nahen Verwandten verloren, und in den natürlich noch nicht beseitigten Trümmern ruhen wohl noch viele Opfer.


Die Menschen zeigten sich sehr dankbar und irre stolz, dass sie eine echte Schule in die Nachbarschaft kriegen. So könnten es ihre Kinder einmal besser haben, meinten sie übereinstimmend. Für sie selbst stehe außerdem eine der vier Latrinen bereit (deren Bau die Haiti-Kinderhilfe und Unicef gesponsert hatten), im Gegenzug hielten sie die Schule und die
                                                     Toilettenanlage sauber. Außerdem
versprachen sie jede ihnen mögliche Form der Kooperation. Sie würden alles tun, um ihren Kindern Schuluniformen kaufen zu können, betonten sie - ohne zu wissen, dass ich persönlich das Geld dafür lieber für Wichtigeres ausgeben würde. Aber natürlich wollten sie mir dadurch vermitteln, dass ihnen der Schulbesuch viel Wert ist, und sie sich nach der Decke streckten, um alles richtig zu machen. Ganz ungeschönt, es machte wirklich den Eindruck, dass es schon "ihre" Schule sei.


Noch während ich dort war gründeten die Leute ein Schulkomitee, dem zwei Eltern, die beiden Lehrer und ein Schüler angehörten. Sie legten sofort fest, wie die künftige grüneblauerotegelbe Schuluniform aussehen muss. Dr. Lelen Laplanche, die Projektverantwortliche gegenüber der Haiti-Kinderhilfe, hielt sich da komplett heraus. Sie hatte die Nachbarschaft gemeinsam mit Freunden aus der Mittelschicht schon seit 2005 unterstützt, jetzt aber um unsere Hilfe gebeten, weil viele ihrer Freunde beim Erdbeben selbst alles verloren hatten und sich nicht mehr beteiligen konnten. Seit dem Beben hatte die Familie Laplanche den Leuten regelmäßig Wasser-Lkw ins Viertel geschickt, die Lehrergehälter bezahlt, und Lelen als Ärztin kam einmal im Monat, um medizinische Grundversorgung anzubieten. In Zukunft will sie dieses Engagement ausbauen, da sie überzeugt ist, dass eine Verbesserung der Lebensumstände schneller erzielt werden kann, wenn nicht nur die Kinder Lesen und Schreiben lernen, sondern die Eltern grundlegendes Wissen vermittelt bekommen. Gedacht ist an wöchentliche Kurse zu Hygiene, Gesundheit, Bewerbungstraining und ähnliches. Einen kleinen Vorgeschmack darauf erhielt ich dann gleich; sie hielt eine flammende Rede, dass Eltern ihre Kinder unter keinen Umständen schlagen sollten. Am Ende hatte das Ganze fast Volksfestcharakter, und ich musste so ziemlich jeden einzeln und in diversen Kombinationen fotografieren. Mir gefiel der Ortstermin ausgesprochen gut, ich bin überzeugt, dass wir ein gutes Projekt ermöglicht haben, und bin schon gespannt, wie die weitere Zusammenarbeit mit den Organisatoren abläuft. Noch vor meiner Abreise soll ich den Projektantrag für die Kosten für Schulmöbel und -bücher erhalten, damit der Unterricht pünktlich am 4. Oktober zum Schuljahresbeginn aufgenommen werden kann.


Liebe Grüße,
Stephan

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