Sonntag, 1. Dezember 2013

22. bis 24.11.2013: Der vollständige Bericht



Freitagmorgen. Wir fuhren ganz früh los Richtung San Marc und machten unsere Frühstückspause ca. 60 km nach Port au Prince, ca 10 km nach dem Strandclub Indigo.

Als wir 1978 nach Haiti kamen, gab es bereits diesen kleinen See. Damals total idyllisch in einem Palmenwald. Ich erinnere mich, dass wir immer begeistert waren, von den Hunderten rosaroter Flamingos, die an diesem See waren. Über die Jahre verschwand der See komplett, es wurde fast alles abgeholzt.

Ein oder auch zwei Jahre vor dem Erdbeben stiegen schlagartig die Seen im Landesinneren an. An der offiziellen Landesgrenze zur Dominikanischen Republik, in Malpasse, waren die Häuser bis zum Dach im Wasser und von den Palmen sah man nur noch die Kronen. Zur gleichen Zeit stieg auch das Wasser wieder in diesem trockenen See. Nach meiner Erinnerung ist er jetzt grösser als früher und der Wasserspiegel höher als damals, 1978. Dabei sind die Seen mindestens 80 km Luftlinie voneinander entfernt. Sicherlich hatte man bei der Veränderung des Wasserspiegels schon erkannt, dass eine Bewegung in der Erdkruste ist, also ein Vorbote des Erdbebens.

Wir besuchten in San Marc zuerst die Schule St. Fleurencent. Aus der vor Jahren kleinen Schule auf einem Berg, relativ stadtauswärts, mehr für die dortigen Bauern gedacht, ist eine riesige Schule entstanden, nun mitten in der Stadt. Es wird dort von der Grundschule bis zum Abitur unterrichtet.

Unsere Patenkinder sind fast alle anwesend und wir können die Fotos für die Pateneltern in Deutschland machen. Einige hatten immer noch nicht ihre Schulunterlagen vom letzten Schuljahr abgegeben und es wird noch schnell ein Dankesbrief geschrieben, damit wir auch ja für sie das Schulgeld bezahlen.

Danach ging es zum Besuch in der Schule St. Trinite. Der Direktor Jean Pierre bedankt sich immer wieder, dass wir wie versprochen seinen vor Jahren begonnen Ausbau finanziert und fertiggestellt haben.

Es sind 3 Klassenräume und ein großer Zwischenraum entstanden. Zwei Klassenzimmer sind mit einer großen faltbaren Tür verbunden und es kann somit aus 2 Räumen bei Bedarf ein großer Saal gemacht werden. Es ist alles sehr hell und die Trennmauern nur halbhoch, was ein sehr angenehmes Klima schafft, da immer ein leichter Durchzug ist. Aber dafür ist es auch etwas lauter. Wir übergeben alle Patenschaftsgeschenke, machen Fotos für die Pateneltern und bezahlen die Schulgebühr. In der Schule ist auch der Treffpunkt für die Patenkinder der anderen Schulen in San Marc. Es kommen alle. Völlig überraschen kommt Schneider, jetzt ein junger Mann Ende 20, der auch vor Jahren in unserem Programm war. Leider hörte er 1 Jahr vor dem Abitur auf, da er ein Mädchen schwängerte und für seine kleine Familie sorgen wollte. Er schlägt sich als Hilfslehrer für Englisch in verschiedenen Schulen in San Marc durch.

Es dauert alles immer etwas länger als geplant, und wir wollen ja noch weiter nach Cap Haitienne. Aber da schon den ganzen Morgen die Sekretärin mit zwei anderen Frauen für uns kocht, müssen wir zum Essen bleiben. Es gibt Ziege, Salat mit Brunnenkresse, Kochbanane und den besten Reis mit Bohnen, den ich jemals gegessen habe.

Die obligatorischen Kokosnüsse zum Trinken nehmen wir mit. Monsieur Jean Pierres Gastfreundschaft ist jedes Mal unbeschreiblich.



Dann der Aufbruch in zu unserem „Ferientag“. Wenn wir in Haiti sind, laden wir das Patenschaftskomitee regelmäßig zu solchen freien und sorglosen Tagen ein, als Dankeschön für die Verlässlichkeit und Verantwortung, mit denen sie uns in Haiti im Patenschaftsprogramm und vielen anderen Projekten unterstützen. Diese Erlebnisse schweißen die Gruppe auch regelrecht zusammen.

Die Straße von San Marc nach Gonaive ist neu gemacht und wunderbar. Ich erinnere mich, dass es früher die Reisebene war, es gab auch sehr viele Felder mit Baumwolle.

Drei Viertel der Ebene ist nur noch Steppe, wie Wüste. Anscheinend hat der Hurrikan Jeanne viel zerstört. Da die Berge alle abgeholzt sind, werden sich diese Naturkatastrophen ständig wiederholen. Nach Gonaive wird die Straße miserabel. Teilweise abgebrochen, ein Schlagloch am anderen, extrem bergig. Es kommen uns immer wieder riesige Tanklastzüge und Containerlastwagen entgegen. Wir müssen oft anhalten und in einer Kurve kam ein Container uns extrem nahe. Wir hatten rechts nur den Abgrund, und Rachelle verabschiedete sich ganz schnell von ihrer Mutter, da sie dachte, wir müssten jetzt sterben.

Es kam leichter Regen auf, wir waren in Sorge um unsere vier Studenten auf der Ladefläche, aber auch um unsere ganzen Kartons mit den Unterlagen für Billiguy. Es wurde schlagartig stockdunkel und wir hängten uns an die Stoßstange eines Autos vor uns, damit wir besser die Schlaglöcher sahen. Nachts fahren, auf kaputten Straßen, ohne Begrenzung und Mittelstreifen ist grenzwertig. Immer wieder „Könige der Landstraße“ (LKW und Busse), die einfach mit Hupe und vollem Licht dahinbrettern. Wir erreichen Cap Haitienne, auch hier ist die Stadt explodiert. Ein Gewusel, Gehupe, Mopeds, Menschenmengen – wir tanken und fragen uns durch. In Cap Haitienne  sind die Straßen wie ein Schachbrett angelegt. Buchstaben horizontal, Zahlen vertikal. An der Straße 21 biegen wir links ab, durch kleine Gassen, dann wieder eine Sandstraße über einen Berg und irgendwann hören wir das Rauschen des Meeres. Hier irgendwo hat Rachelle für uns reserviert.

Wir haben ein ganzes Haus für uns. Die fünf Männer extra und wir drei Frauen extra. Luxus! Wir haben vier Bäder...

Es gibt einen traditionellen Eintopf. Ziegenfleisch, viel Blattgemüse, Maniok und „Doumbroille“, das sind eine Art Schupfnudeln, gemacht aus Mehl, Gewürzen und salzigem Wasser, wunderbar gewürzt mit Nelken. Wir bekommen zu acht drei riesige Suppenschüsseln, und man kann ruhig sagen, dass wir uns auf das Essen stürzen! Hier kann man hemmungslos dreimal Nachschlag nehmen. Es gibt auch eiskaltes Bier und Limo. Wir haben eine wunderbare Stimmung, fallen todmüde ins Bett und schlafen alle wie Engelchen.

Am Samstagmorgen gibt es einheimischen Maisbrei, auch wieder mit Blattgemüse und leckeren Avocados. Es schmeckt wunderbar. Wir frühstücken direkt am Meer.

Conny, Guivens, Guerino, Benson, Guinther, Laumenaire und Rachelle wollen nach Labadie. Es ist einige Kilometer entfernt. Labadie ist der Punkt im Norden von Haiti, wo die großen Schiffe ankern, die Touristen dann mit Booten auf kleine Inselchen vor Labadie bringen, mit einem durch Stacheldraht abgegrenzten Strand. Sie fallen da wie Heuschrecken einige Stunden ein, werden verwöhnt, einige fahren Jet Ski. Früher wurde ihnen nicht einmal gesagt, dass sie in Haiti sind, sondern in Sun-Island. Auf größeren Booten und im sicheren Abstand können dann die Touristen mit Fernstecher und Teleobjektiv an dem Dorf Labadie vorbeifahren und sich die romantisch-bunte Armut ansehen.



Ich selbst bleibe in unserer Unterkunft. Ich lasse mir mein Bett auf die Veranda bringen und werde Stunden nur schlafen. Bin irgendwie platt. Ich stelle fest, dass mein Gehirn in der Hitze nur ganz langsam funktioniert. Arbeite schon ein bisschen unsere Unterlagen von San Marc auf, aber, wie gesagt, mit großer Blockade.

Am Abend gibt es Fisch in Soße und wieder Reis, Kochbananen, scharfes Pickles. Nach dem Essen schlägt Laumenaire ein Spiel vor. Die Hände auf den Tisch, immer in Reihe klatschen, bei 2x klatschen die Richtung wechseln. Bei einem Fehler muss man eine Hand aus dem Spiel nehmen. (Offensichtlich ein internationales Spiel, bei uns ja auch bekannt – Anm. der Red.)

Wir lachen viel und haben eine wunderbare Zeit, ohne Geld. Das finde ich immer wieder beeindruckend, wie jeder spontan mitmacht. Wie die Gruppe immer zusammen hält. Wie viel laut und herzlich gelacht wird, immer wieder gesungen wird, Spaß und Freude am Leben ist, obwohl jeder ein großes Päckchen an Kummer und Sorgen zu tragen hat.



Vor dem Schlafen spielt Guinther  Gitarre, es wird gesungen – es war ein weiterer schöner Tag.



Sonntag, Rückreise. Frühstück um 7 Uhr, es gibt Spagetti und Papaya. Wir sind schon um 9 Uhr in Milot und alle außer mir marschieren los auf die Zitadelle.

Wir haben uns einen Führer genommen und somit auch einen Schutz, dass nicht jeder Anwohner doch noch versucht einen Job zu bekommen.

Ich bleibe lieber auf dem Parkplatz, da unser Pick-up voll beladen ist.

Pünktlich geht es zurück Milot, dann nach Hinche. Es ist schlimmste off-road. Nicht einmal Sandpiste, sondern wie ein Reibeisen. Die Straße ist durch die Regenzeit so ausgewaschen, dass wirklich nur die Steine sichtbar sind. Schlaglöcher, enge Furten, steile Berge, entgegenkommende, überladene LKWs.

Jedes Mal, wenn ein Auto vorbei fährt, ersticken wir im Staub und haben für einen Moment keine Sicht. Das Auto quietscht, vier müssen hinten auf der Ladefläche sitzen und sie werden jedes Mal gegen die Ladewände geworfen. Wir machen einen Stopp an einem kleinen Bach, Kinder baden, Frauen waschen Wäsche. Es hält ein LKW und ca. 50 Männer steigend johlend und schreiend ab und marschieren direkt auf uns zu. Mir wird echt mulmig und ich denke, dass wir nun ausgeplündert werden. Sie kommen zwar alle vorbei, schauen und sprechen uns an. Sie kommen aber von einer Beerdigung und durch den Fluss führt ihr Weg nach Hause.

Weiter, die Zeit drängt. Rachelle, Guinther, Benson und Laumenaire wollen einen Bus in Hinche nach Port au Prince nehmen.

In St. Raphael ist die Durchfahrt durch die Stadt wunderbar betoniert. Wir fahren geradeaus weiter, gleicher Straßenzustand, brütend heiß, trostlos. Im nächst größeren Ort fragen wir einige Männer, wie weit es noch bis Hinche ist. Sie erklären uns, dass wir total verkehrt sind und zurück nach St. Raphael und dort bei der Kirche links abbiegen müssen.

Wir sind geschockt, eineinhalb Stunden verloren, insgesamt 42 km Piste umsonst. In St. Raphael kann uns keiner genau sagen, wie weit es sein wird. Die Angaben reichen von zwei bis fünf Stunden.

Die Straße ist noch schlechter, vor allem noch enger. Ohne Halt, gegen die Zeit, aber körperlich alle schon total fertig kommen wir 5 Minuten vor 17 Uhr in Hinche an und unsere Vier bekommen noch die letzten Plätze im Bus nach Port au Prince, der auch sofort losfährt. Wir sind erleichtert, dass es doch irgendwie geklappt hat.

Guivens und Guerino fahren mit uns nach Maissade. Wir kaufen noch Trinkwasser und erreichen Maissade in der Dunkelheit.

Wir sind zwar eingeladen bei Pastor Colas zu schlafen, aber irgendwie möchten wir doch gerne unabhängig sein. Es soll ein Hotel geben und wir finden es sofort neben der Kirche. Momentan eine Baustelle, aber ein Teil sei schon fertig. Eigentlich grauenhaft, noch überall der Zementfilm, die Matratzen noch in Plastik, wir sind die ersten, die hier anfragen. Wir suchen uns ein Zimmer aus, verhandeln allerdings noch lange um den Preis, und auch, dass wir gerne Wasser zum Duschen hätten. Irgendwo kommt etwas kaltes Wasser, wir sind glücklich, wir haben ein Bett. Wir fahren nun zu Pastor Colas, es ist alles stockdunkel in Maissade, es gibt zwar schon Stromkabel, aber die Transformer sind durchgebrannt. Es laufen Generatoren, es ist brutal laut und heiß, Unmengen von Kindern laufen im Haus herum, man bietet uns eine sehr saubere Schlafgelegenheit an, sind aber froh, ein Bett in unserer Baustelle gefunden zu haben. Wir planen noch den kommenden Tag und fallen todmüde ins Bett.
Roswitha Weiß

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