Für unser Projekt in Maissade haben wir uns vorgenommen, möglichst viel Material aus dem Land zu beziehen, also von haitianischen Firmen zu kaufen und von haitianischen Arbeitern herzustellen. Dazu sollten unsere Ingenieure aber wissen, wo sie gutes Material herbekommen. Ich machte den Vorschlag, mal einen Tag lang die Hardware-Shops in Port-au-Prince anzuschauen. Heute sollte der Tag sein. Um 7:00 Uhr wollte ich Guerino bei Henfrasa treffen, kam aber leider statt um 6 Uhr erst um 10 Minuten nach 6 Uhr aus dem Haus, und prompt war der Verkehr schon so dicht, dass ich für die paar Kilometer bis 7:30 Uhr unterwegs war. Für die letzten hundert Meter brauchte ich ca. 15 Minuten: Es waren wieder etliche TapTaps am Zusammenbrechen und standen dann mit Panne mitten auf der Straße, wo natürlich gleich mit der Reparatur begonnen wurde- ohne Rücksicht auf den nachfolgenden Verkehr.
Beim Herunterfahren hielt ich vor einer Kurve an und ließ
einen kleinen Jungen auf die Ladefläche aufsteigen, leider nahm ich gar nicht
wahr, dass hinter der Kurve fünfzehn andere Schüler schon auf eine
Mitfahrgelegenheit warteten. Kaum hatte ich angehalten, waren auch schon alle
auf die Ladefläche aufgesprungen. Mein „C’est trop!“ interessierte nur drei
kleine Mädchen, die erschrocken wieder absprangen. Die Straße vom Montagne-Noire
hinunter ist immer noch die reinste Seifenbahn, immer noch hat sich keiner um
die defekten Wasserrohre gekümmert, das Wasser läuft und läuft, die Autos
rutschen und manche sind mit schlechten Reifen bestückt eine echte Gefahr für
die Fußgänger, die auch mehr schlecht als recht herumrutschen. Wir haben es
aber schließlich geschafft und sind heil in Petionville angekommen. Für mich
ging es dann weiter herunter in die Stadt.
Bei Henfrasa angekommen erledigten wir erst mal die
Patenschaftsunterlagen im Comité-Büro und machten uns dann auf den Weg Richtung
Croix de Bouquet bzw. Noaille, dem Zentrum für Eisenkunst in Haiti. Ich war
schon so viele Male hier in diesem Land und noch nie bin ich bis Noaille
gekommen, obwohl ich schon so viel davon gehört hatte. Die Künstler oder besser
Kunsthandwerker waren schon fleißig bei der Arbeit und das ganze Quartier war
erfüllt von Klopfgeräuschen auf Metall. Gleich beim ersten Shop kamen wir zum
berühmten Eisenkünstler Jolimeaud, der seine Sachen in die ganze Welt verkauft.
Die ausgestellten Objekte haben uns sehr gut gefallen. Wir sind natürlich nicht nur wie Touristen
unterwegs, sondern auch mit ganz konkreten Bitten um Kostenvoranschläge für
Fenster und Türen. Weitere Shops steuern wir an und können nur staunen über den
unendlich scheinenden Ideenreichtum der Handwerker.
Wunderbare Paravents,
Panneaus zum Einsatz in Fenster oder Türen, schmale Panneaus, kleine, große,
runde, eckige und ganze Einfahrtstore, Laternen, Mülleimer und sonstige
Objekte. Der Ort wird richtig zum Touristentreffpunkt hergerichtet, die Straßen
neu gepflastert, Beleuchtung installiert, Plätze geschaffen. Eher durch Zufall
fanden wir auch noch das Atelier des Künstler Ti Jacques Robert, der bei Arte
in der Reportage über Haitis „Kunstkrieger“ zu Wort kam. Es baute sich nach dem
Erdbeben 2010 eine völlig neue Kunstszene in Haiti auf. Die Mitglieder
verarbeiten Alltagsgegenstände und Müll zu Objekten. Jacques Robert beschäftigt
sich mit der haitianischen Geschichte, Voodoo und Guinea, dem Sehnsuchtsland
aller in der Karibik lebenden Schwarzen. Ich konnte nicht widerstehen und
musste zwei kleine Objekte kaufen. Nach zwei Stunden brummte uns der Schädel
und noch war kein Ende der Shops in Sicht. Wir wollten nicht mehr weitergehen
und machten uns mit viel Informationen und Preisen zurück nach Port-au-Prince
auf unsere Hardware-Tour. Bei etlichen Geschäften schauten wir uns hochwertiges
Baumaterial, Innenausstattung, Solaranlagen, Werkzeug an. Wir schrieben auch da
wieder viele Preise zum Vergleichen auf und kamen zum Ergebnis, dass es in
Haiti alles zu kaufen gibt und kaum zu anderen Preisen als in Deutschland. Es
rentiert überhaupt nicht, für Baumaterial einen Container zu packen. Einzig die
Suche nach einer Wasserpumpe für Handbetrieb war gar nicht erfolgreich. Keines
der Geschäfte hatte dies im Programm. Im letzten Laden, den wir gerade noch vor
Ladenschluss erreichten, gab man uns nochmal zwei Adressen. Vielleicht werden
wir doch noch fündig. Um kurz vor Schluss erreichten wir auch die
Schulbuchdruckerei Deschamps und konnten noch unsere Buchbestellung loswerden.
Alles wird zusammengestellt und wir können die Bücher morgen abholen und
bezahlen. Ich bin froh, dass ich heute bei Helligkeit um 17.00 Uhr schon zurück
ins Paradies komme.
Zu Roswitha, die heute den ganzen Tag über
Projektabrechnungen saß, sagte ich, dass das Wort „infernalisch“ in Haiti
entstanden sein müsse, denn der Verkehr tagsüber im Gemisch mit der Hitze, dem
Staub und Gestank, den Abgasen und der Dunstglocke über der Stadt hat etwas vom
Höllenvorhof.
Morgen gehen wir auch schon wieder um 6 Uhr morgens aus dem
Haus, damit wir unser Soll, oder wie schon neulich gesagt, die Hälfte davon,
erfüllen können.
Cornelia Rébert-Graumann
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